Mittwoch, 7. Oktober 2009

Jimi Berlin
Hallo Tagebuch (80)

Der Sinn des Lebens: Verständnis für Essen


»Wozu sind eigentlich Hasen da?«, fragt Doris mit einem Seitenblick auf unseren neuen vierbeinigen Mitbewohner, der gerade dabei ist, eine Ladung Mümmelmannchromosomen an die Balkontürscheibe zu wichsen.
»Keine Ahnung, aber es ist kein Hase, sondern ein Kaninchen«, sage ich fast schon automatisch, denn mit der Biologie nehme ich es im Gegensatz zu Doris sehr genau.

»Wir sollten es essen«, meint die Sockenhandsprechpuppe nach einem weiteren Blick auf den eifrig durch die Käfigtür rammelnden Nager.
»Ich bin Vegetarier«, murmele ich abwesend, während ich mich in die Lektüre der Tageszeitung vertiefe.
»Pah! Vegetarierer!«, höhnt Doris.
»Analfixierter Esoteriksummser. Fleisch hat noch keinem geschadet. Wir sollten es essen!«

Vor etwa zwei Wochen haben wir das Kaninchen aus dem Tierheim geholt und es auf den Namen Antoinette getauft, in Erinnerung an eine alte Sockenfreundin von Doris, mit der sie vor Jahren die Handsprechpuppenschule in New York besuchte.

Als aber die ersten Samenspritzer um den Kaninchenkäfig herum auftauchten, war das fachmännische Urteil der sympathisch vierschrötigen Tierheimangestellten - Die Kessi ist unproblematisch, die ist auch sterilisiert - gleich zweifach ad acta gelegt.
Kessi! Um Himmels willen.
Wir gaben dem Kaninchen einen passenderen Namen.
Pimmelmann.

»Darf ich dich daran erinnern, dass du das Tier haben wolltest, um deine weiblichen Gefühle zu kanalisieren?«, versuche ich lahm an Doris Mutterinstinkt zu appelieren.
»Scheiß auf Gefühle!«, motzt Doris.
»Ich wollte ein Kuscheltier, kein daueronanierendes Knödelkackding.«
Wie zur Bestätigung ihrer Aussage spritzt das Kaninchen enthusiastisch eine weitere Ladung Sperma auf die Scheibe.
Woher das kleine Tier nur soviel Energie und vor allen Dingen Flüssigkeit nimmt!
»Hut ab, mein Lieber!«, applaudiere ich im Geiste.
Erschöpft nascht der Vorzeigerammler an seiner Knabberspaß-für-Nager-Stange, bevor er wieder in Fahrt gerät.

»Pimmelmann braucht eine Frau«, meint Doris da unvermutet.
»Vor zehn Minuten wolltest du ihn noch essen«, gebe ich verwundert zu bedenken.
»Er braucht eine Frau, dann können sie kuschelige, kleine Hasenbabys machen, denen ich meine Gefühle zeigen kann«, sagt Doris.
Der Himmel weiß, was in Sockenhand-sprechpuppenhirnen vor sich geht!

»Außerdem würde es seinem und unserem Leben einen Sinn geben. Wir gründen eine Familie«, schwafelt Doris weiter und eine Träne drückt sich sentimental aus ihrem Knopfauge.

Gedanken versunken betrachten wir einige Minuten das sinnlos vor sich hin masturbierende Tier.
»War nur Spaß«, sagt Doris dann.
Aus der Ferne schallt das Konzert einer Coverband herüber auf unseren Balkon.

Über den Wolken.
Eye of the tiger.
Surfin USA.


»Ich wäre gern ein Kaninchen«, meint Doris.
»Dann wäre alles egal.«
Hinter den Dächern verkriechen sich die letzten Septemberabendsonnenstrahlen.
Wir gehen rein und schließen die Tür.
Pimmelmann macht weiter.

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