Schreiben ist ja nicht gleich schreiben. Und während andere städtische Online-Redaktionen sich darauf beschränken, Agenturmeldungen zu publizieren, ist bei hunderttausend.de alles handgemacht. Und so verbirgt sich hinter den News natürlich auch nicht nur der reine Informationsgehalt, sondern auch immer ein kleines Stückchen Redaktionspersönlichkeit.
Dann finden sich unter dem Deckmantel der profanen Meldung manchmal fast lyrische Perlen der Selbstoffenbarung.
Zumeist sind es nur Tendenzen, eine leicht subjektive Färbung der Realität durch eine ganz bestimmte Wortwahl. Betont nüchtern oder verschämt sympathisierend, wenn Mario Basler an der Uni weilt oder die Fahrradgarage an der Porta wieder eröffnet.
In einer ganz anderen Liga spielt jedoch ein Beitrag vom 9. Mai: »Messepark Trier: Kein Europa-Volksfest 2009«, der mit den niederschmetternden und doch zugleich bildhaften-poetischen Worten beginnt: »Kein Riesenrad im Messepark«.
Kein Gedichtband dieser Welt kann mehr Weltschmerz, mehr namenlosen Kummer enthalten, als das Bild des riesenradlosen Messeparks. Grau und trist steht er da, noch dazu auf der falschen Moselseite, und alles was ihn aufwerten, ihn retten könnte aus seinem trostlosen Dasein ist - ja! - das große, bunte Riesenrad. Jauchzende Kinder sitzen auf ihm, die Münder voller Zuckerwatte. Der Akkordeonspieler spielt, immer schneller! Immer schneller! Und die verhärmten Gesichter der alleinerziehenden, vom Leben überforderten Eltern schmelzen in einem milden Lächeln dahin, denn das ist Spektakel, das ist Theater, das ist ein wahres Wunderding!
Doch es kommt nicht.
Kein Riesenrad im Messepark.
Und man traut sich kaum weiterzulesen, denn da wird das Unmögliche versucht, eine weltliche Begründung zu finden für das theodizeehafte Unglück auf dem Messepark: Zu wenige Aussteller hätten sich um einen Stand beworben.
Wir erleben den Messepark hier als sich anbiedernde, alternde Hure, die sich willig in die Arme ihrer Freier wirft – und doch verschmäht wird. Das Bild hämmert noch in unseren Köpfen, als wir benommen mit einer Stellungnahme von hoher Stelle abgespeist werden: Oberbürgermeister Jensen scheint sich der Brisanz der Lage bewusst zu sein und versucht mit der ihm eigenen Diplomatie, die Wogen zu glätten. Denn nichts kann man im Kommunalwahlkampf weniger gebrauchen als einen riesenradlosen Messepark.
Fast rührend liest sich, wie er versucht, keinem der Beteiligten zu nahe zu treten und doch eine Erklärung für das Unheil zu finden, da er » keine Schuld bei der Stadt oder der Messeförderungsgesellschaft sehe. Dennoch wolle man die Gründe, warum viele Schausteller fernblieben, analysieren und nach Lösungen für die Zukunft suchen«.
Das klingt wie: »Mama und Papa verstehen sich nicht mehr so gut, aber sie haben dich trotzdem noch lieb und es ist nicht deine Schuld«.
Der Leser fühlt sich zurückgelassen, allein mit seinen Fragen. Warum? Wie geht es jetzt weiter? Und schon sieht man Klaus Jensen, ein West-Kind an jeder Hand, wie er versonnen im Nordwind an der Mosel entlang spaziert und versucht, ihnen zu erklären wie es jetzt weitergeht: »Hört mal, natürlich könnt ihr das Riesenrad immer noch sehen. Jedes zweite Wochenende und in den Ferien«.
Und plötzlich tut sich ein ganzes neues Universum der Fragen, aber auch der Erkenntnisse auf. Wie stehe ich zum Riesenrad? Wer ist der Schuldige in dieser so klassischen Tragödie? Wann habe ich zum letzten Mal Akkordeonklänge gehört?
Fragen, die der Leser sich stellt, während er sich einen Schal umwirft und eigentlich nur eine kurze Runde um den Block gehen will. Doch plötzlich strandet auch er am Messepark, steht vor verschlossenen Toren – und findet dann vielleicht seine ganz eigenen Antworten.
Und nicht weniger als das bezweckt hunderttausend.de mit den scheinbar profanen und rein informativen News, die aber eben auch immer ein bisschen mehr enthalten. Man muss es aber auch sehen wollen.
Freitag, 15. Mai 2009
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