Es sei ihr wichtig, sagt sie, und dass ich mich benehmen solle. Ich war zuvor bereits ein Mal zu einer Fete des gleichen Freundeskreises gezwungen worden, Namen habe ich mir nicht gemerkt. Ich erwarte nicht viel für den Abend. Man könnte auch sagen, ich weiß, worauf ich mich einlasse. „Ja“, sage ich, „ich trinke doch auch grad nicht.“
Sie feiern Abschied und Auszug, eine WG Bachelor-Absolventinnen. Sie lösen die Wohnung auf, sie gehen auf Reisen, sie machen ihren Master in einer anderen Stadt, sie schrauben neue Handtuchhalter an die Badezimmerwand, die Serviettenringe haben sie schon. Ich solle unbedingt die Dips kosten. Auf solchen Partys gibt es immer viele Dips und trockenes Fladenbrot und mindestens fünf verschiedene Salate. Zurzeit sind Cous Cous-Salate ganz groß in Mode. Auf jeder Party meint jemand Cous Cous-Salat mitbringen zu müssen. Cous Cous kennen manche nicht, dass finden sie aufregend. In der Küche reden sie dann darüber, was drin ist. Ja, ohne frische Kräuter geht gar nichts. Das Bier ist meistens warm.
Die Gäste fragen an der Tür, ob sie die Schuhe ausziehen müssen. Zwischen ihren Sätzen kichern sie unsicher, und der Gegenüber kichert auch und dann überreichen sie den mitgebrachten Salat. „Rauchen nur vor der Tür, die Schuhe könnt ihr anlassen, hihi. Und Vorsicht mit der Schreibtischplatte, die ist aus Glas und liegt nur so auf.“ Die Wohnung ist fast gänzlich ausgeräumt, geschlafen wird die letzte Nacht auf der Luftmatratze. An den Wänden hängen noch Fotos. Sie zeigen auf jedem Bild das Gleiche an unterschiedlichen Orten, Menschen, die Grimassen schneiden für die Kamera. In einem Zimmer wurden die Fotos für die Party extra umgehängt. Früher hingen sie über dem Bett, jetzt tiefer, über der Luftmatratze, ich erkenne es an dem dunklen Rand, den der Bettrahmen an der Wand zurück gelassen hat. Neben mir sagt jemand: „Man macht doch nicht einfach die Tür auf und lässt irgendwen in sein Zimmer.“ Ich trinke O-Saft und habe schon alle Dips probiert. Ich bessere mich, ich habe noch niemandem gesagt, was ich denke.
Sandra hat schon zwei Becher Bowle getrunken. Auf ihrem Plastikbecher steht „Sandra“, geschrieben mit grünem Edding. Markus sei der erste, den sie seit zwei Jahren, seit zwei Jahren wirklich toll findet, der erste seit Adam, und jetzt komme sie aus der romantischen Stimmung nicht mehr raus, sagt sie. Und dabei habe er, Markus, auch mal nicht so ein Bübchen-Gesicht. Die ganzen Metal-Typen aus ihrer Schulzeit, die hatten ja alle einen Bart, die haben sie unsensibel gemacht für die Bübchen, sagt sie. Aber Markus ignoriere sie jetzt immer, wenn sie ihn an der Uni sieht, er sei so kalt, dass sie das Zittern bekomme und einen Tag später rufe er doch wieder an und dann knutschen sie. Der Raum, in dem getanzt werden soll ist komplett ausgeräumt. Es gibt eine Lichtorgel und die Anlage klingt ziemlich schlecht. Die Rollladen sind geschlossen. Über der Zimmertür ist ein Pappschild angebracht: „Tanzen=Schuhe aus! Wegen Parkett!“ Niemand tanzt. Sandra redet mittlerweile über das Heiraten. Vier Mädchen stehen im Kreis um sie herum und nicken, ganz große verständnisvolle Augen machen sie. Und Sandra sagt, dass sie Markus sowieso nie heiraten könne: „Da liegen Essensreste und gebrauchte Löffel in der Küchenschublade. So etwas gibt es bei uns nicht!“
In einer Zeitung habe ich einen Artikel über tibetische Widerstandskämpfer gelesen. Sie betrinken sich jeden Abend in einer kleinen Kneipe bis zur Schmerzunempfindlichkeit und schlagen sich dann mit patroulierenden chinesischen Soldaten. Um 1:15 Uhr kommt die Polizei, danach darf keiner mehr zum rauchen auf die Terrasse. Eine der Gastgeberinnen hat alle rein gescheucht und dann die Tür abgeschlossen. Auf dem Heimweg trete ich gegen eine Straßenlaterne. Sie geht nicht aus.
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