Freitag, 27. August 2010

Wir haben 100 Leute gefragt...

Kürzlich lief in dem empfehlenswerten Magazin "Zapp" ein empfehlenswerter Beitrag zum Thema Google Street View. Der Tenor war: Street View ist überhaupt nicht das Problem, sondern das Monster Google mit seiner Sammelwut. Ein kompetent aussehender Mann mit Fliege hat dann darauf hingewiesen, dass jede Suchanfrage gespeichert wird und man nicht weiß, was mit diesen Daten passiert.

Ich habe eine tolle Idee, was man mit diesen Daten machen kann: den Weltgeist finden! Das geht natürlich nur, weil Google so schön mitmacht und aus der Auto-Vervollständigen-Funktion den Zeitgeist der Gegenwart sprechen lässt. So ist es das Orakel unserer Zeit: Wenn man es nur richtig fragt, lässt es uns tief blicken in das unbewusste Grundrauschen von Deutschland 2010.

"Im Ausland ist also ein Deutschlandbild zwischen Krieg, technischer Präzision, hoher Literatur, romantischen Königsschlössern, Lederhosen und deftigem Essen vorhanden", das sagt die Seite www.deutsche-lebensart.de. Aber wie sieht der Deutsche von innen aus? Welche Fragen beschäftigen ihn, wenn er sich unbeobachtet fühlt? Niemand weiß das besser als Google, die Sammelstelle für die tiefsten Geheimnisse die Nation. Das Verfahren unserer Studie ist sehr einfach: "Dürfen", "Sollen", "Können" und "Sein" sind unsere Fragen-Auftakte. Wir geben einen Satzanfang vor, Google assoziiert ganz spontan.

Er gilt als linientreu, pflichtbewusst und bürokratisch. Auf des Deutschen wichtigsten Frage-Auftakt "Darf man…" folgen diese zehn meistgenannten Fragen:



Auf den ersten Blick durch nichts verbunden, offenbaren die Fragen einen im soziologischen Feuilleton schon länger grassierenden Trend: Den Rückzug ins Private. Die gestellten Fragen konzentrieren sich auf Individualinteressen, und bergen gleichzeitig die latente Angst, mit einem Balkongrill gegen den Konformismus der Nachbarn zu verstoßen. Die Deutschen – ein Volk von spießbürgerlichen Duckmäusern?

Noch weniger Hoffnung macht die "Soll-Kategorie". Was steckt nicht alles in diesem Wort? Mehr als alles andere: Der pathetische Wunsch, richtig zu leben. Aber auch: der Zweifel, die Möglichkeit eines Anders-Sollens. Wer jemand anders fragt, was er soll, möchte sich der eigenen moralischen Verantwortung entziehen, indem er einer Autorität die Entscheidung überträgt. Der Deutsche, der im Internet nach moralischen Wegweisern sucht, hat folgende Fragen gestellt:

Uns fällt auf: bis auf die Pickel und die Tiere konzentrieren sich die Ratsuchenden auf finanzielle Aspekte. Die ethische Komponente der Soll-Fragen fehlt völlig. Auch hier offenbart sich das Bild eines egozentrischen, in einer Enklave des Privaten lebenden Deutschen, dessen einzige Sorge der eigenen Kapitalvermehrung gilt. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass Frage sieben lautet: "Soll man BP enteignen?".

Jetzt könnte jemand meine wissenschaftliche Methodik kritisieren: " 'Sollen' und 'Dürfen' sind aber Worte mit starker Tendenz", könnte er einwenden. Und das stimmt ja auch. Wenden wir unseren Blick also auf ein unverbrauchtes Wort: "Können" - der Inbegriff der Möglichen, der Leitsatz aller Veränderung und Umwälzung. Und in den Ohren das leise Echo längst vergessener "Yes, we can!"-Sprechchöre. Deutschland, was willst du können?


Das Internet - nichts als eine einzige Online-Ausgabe der Brigitte, wo Rezepte und Kochtipps herumgereicht werden? In diesem Fenster nimmt sich die Frage "kann man mit dem ipad telefonieren" wie eine Ausgeburt an Witz, Esprit und Originalität aus, ein Silberstreif der Hoffnung an der altbackenen Schürzenfront. Deutschland – eine pausbäckige Küchenmagd?

Nach den bestürzenden Einblicken in das Streben, Suchen und Sollen der deutschen Seele bleibt nur noch die Frage nach der Bestandsaufnahme der Gegenwart. "Sein" – sozusagen das Polaroid-Foto unter den Fragen. Überraschend die Antworten:


Bis auf zwei Ausnahmen (Krankenversicherung und Verbeamtung) liegen alle "Ist man…"-Fragen im Gebiet der Körperlichkeit. Das hat mich insofern verblüfft, als dass der Deutsche als eher verkopft und seinem Körper entfremdet gilt. An Merkel kann man schön sehen, was ich meine. Wo es nicht mehr um Normen, Pflichten und Gesetze geht, in der Unmittelbarkeit des "Augenblicks, der verweilen soll", entdeckt der Deutsche seine Sinnlichkeit, die fast verschämte Annäherung an sich selbst. Ein rührender Abschluss einer vernichtenden Studie.

Ich fasse also zusammen: Das heimliche Deutschland, die Hoffnung auf Subversion, zerschellt auf den Klippen der Belanglosigkeit. Ihre Treue gilt dem Geldbeutel, ihre Möglichkeiten ruhen im Gefrierfach. Und während sie sich noch fragten, ob man mit 30 Jahren alt ist, sind sie schon tot.

Eine letzte Hoffnung, die ich hege: "Kann man rhabarber roh essen? " ist in Wirklichkeit ein Code für "Alles was ich will, ist die Regierung stürzen". Die Guten wissen längst Bescheid, es hat sich eben nur noch nicht herumgesprochen.

4 Kommentare:

  1. Anonym7.9.10

    königlich
    :D

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  2. Anonym10.9.10

    Wusste gleich das dieser Beitrag nur von Kathrin sein kann.

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  3. super Beitrag, Danke :)

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  4. Anonym16.12.10

    sehr schöner Beitrag :-)

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