Freitag, 14. Mai 2010

Digital ist besser

Wir haben keine Stifte. Das mag nach einem Luxusproblem klingen, ist aber keins. Der Stift und das Papier sind die beiden Säulen, auf denen die abendländische Zivilisation ruht. Viele wollen das nicht verstehen, sie antworten dann: „Deshalb heißt es ja Online-Redaktion“ und denken, diese Phrase sei witzig oder zukunftsgewandt oder beides. Sie ist natürlich nur dumm und gefährlich, und das weiß ich nicht erst seit den Gruselgeschichten von docs.com, wo Artikel verschwinden wie Socken in Waschmaschinen.

Ich für meinen Teil bin nicht mehr bereit, ohne adäquates Utensil zu arbeiten: Ich werde keine Anrufe mehr annehmen, die von unbekannten Nummern kommen, weil ich ihre achtsilbigen Doppelnamen nirgends notieren kann. Ich will nicht mehr sagen müssen: „Ähm, da hat jemand angerufen, klang halt irgendwie wichtig, aber Namen hab ich nicht verstanden, sorry.“

Ich führe auch keine Telefoninterviews mehr, weil ich keine Notizen machen kann, ich erfinde Zitate, weil niemand es mir beweisen kann, indem er auf die Kladde schlägt und schreit: „Aber hier steht es anders, schwarz auf weiß!“

Alles, was man mir aufträgt, werde ich vergessen, weil ich es nicht notieren kann. Der Laden wird vor die Hunde gehen und wenn ich dann kein Geld und keine Arbeit mehr habe, spiele ich Akkordeon in der Fußgängerzone und nehme keine Münzen, sondern nur Stifte.

So dachte ich heute Morgen im Aufzug, als ich an den stiftlosen Arbeitstag dachte, der vor mir lag. Ich habe dann eine Steckdose gesucht, um mein Telefon aufzuladen. Der Weg führte mich unter anderem auch unter die Schreibtische. Wir haben drei davon, und wie tektonische Platten bilden sie Schluchten, an denen sie aufeinander stoßen. Unter der Hauptschlucht fand ich nicht nur Strom, sondern auch ein Nest aus Kugelschreibern, die sich wärmend aufeinandergelegt hatten, gleich neben der Kühlung des PCs. Im Winter müssen sie sich dort zusammengerottet haben.

Früher war überhaupt alles besser. Um das nicht zu vergessen, lese ich manchmal sehr alte E-Mails. Ich habe auf einem dieser Streifzüge etwas gefunden, was wichtig ist. Am 21. 10. 2009 schrieb Christian Palm einen Redaktionsrundbrief mit dem Betreff „In der Reihe…“ und dem Inhalt „… E-Mails, von denen ich dachte, dass ich sie nie schreiben würde: Hört auf, die Kugelschreiber aus dem Büro zu klauen! Danke.“

Wenn er einmal wieder kommt, zeige ich ihm nicht nur, wie friedlich die Stifte dort unten schlafen, sondern gebe ihm gleichzeitig auch den Glauben an uns zurück.

1 Kommentar:

  1. Der Bob vom Bahnhof17.5.10

    :-) Frau S. ihr Lockekopf hat wieder Genials hervorgezaubert!

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