Freitag, 4. Juni 2010

Das Prinzip Schubkarre

Johannes macht immer die Videos. Johannes hört gerne Musik. Die Sprengkraft, die in dieser Kombination steckt, lässt sich in zwei Hauptsätzen überhaupt nicht ausdrücken, aber vielleicht in einer Geschichte. Wir saßen also am Mittwoch an unseren Schreibtischen und schauten ratlos. Video-Johannes und Musik-Johannes waren in Konflikt geraten: Der Eine wollte ein Video noch diese Woche fertig haben, der Andere wollte headbangen in der Eifel. Zwei Herzen schlugen, ach, in seiner Brust.

Ich höre mich sagen: „Johannes, ich habe DIE Idee! Du fährst zu Rock am Ring und ich mache das Video!“. Wir strahlten: ich sehr, Johannes ein bisschen. Ich fragte: „Ist das Programm benutzerfreundlich?“, er sagte: „Klar!“, wir gaben dynamische High-Fives und er zog von dannen.

Es war Feiertag, es war sonnig, ich war guter Dinge. Erst in den Abendstunden merkte ich, dass ich im Begriff bin, zu scheitern. Das erinnerte mich an eine Episode aus meiner Kindheit, in der ein Mann mit einer schweren Schubkarre an unserem Haus vorbeiging. Sie war voller Schotter. Ich mochte schon in früher Kindheit das Prinzip Schubkarre sehr und bot dem großen, dicken Mann an, seine Schubkarre doch ein Stück für ihn zu schieben: „Kenn ich, kann ich“, werde ich wohl gesagt haben. Die Schubkarre war allerdings etwas größer als ich und stand auf einer leichten, mit bloßem Auge kaum zu erkennenden Senke. Kaum dass der dicke Mann sie mir in die Hand gegeben hatte, fiel sie zur Seite.

Der Inhalt formte sich mit einem unaussprechlich unangenehmen Geräusch zu einem unangenehmen Haufen auf der Straße. Eben jenes Geräusch (es ist ein „pchrrr-pchrooouu“, mit einem „prchoú“ wenn die letzten Steine rieseln) machte auch Adobe Premiere Pro, als es sich gegen 18:00 Uhr unaufgefordert schloss und nicht mehr zurückkam. Da war die Schubkarre, da war der Mann, da war der Schotter. Die liebevollen, filigranen Schnitte, die elegant zerstückelten Form: alles weg. Fett und träge lag dort die Filmwurst, derer ich mich um 13:00 angenommen hatte.

Ich gebe nicht schnell auf, glaube ich, erst gegen 23:00, wenn alles dunkel ist und sich auch Youtube zu einer uneinnehmbaren Festung gerüstet hat. Ich trat also auf die Straße und beschloss, den Steppenwolf zu suchen. Mit ihm hätte ich jetzt gerne einige Viertel Wein in dunklen Wirtschaften getrunken. Ich fand ihn nicht. Ich fand nur Freunde, die Reality-Shows über Luxus-Girls in Kamp-Lintfort ansahen. Man aß Brote mit Mettwurst.

Nachtrag: Als ich am nächsten Morgen in die Redaktion kam, versuchte ich es erneut. Ich gab mir Mühe, so auszusehen, als sei es mir egal. Ich schielte nur ab und an auf das Upload-Progress Fenster und tat so, als würde ich eigentlich das medium-Magazin lesen. 15 Minuten: Zack ! Krach! Peng! Ihr Video wurde erfolgreich hochgeladen. Ha! Wer genau hinhört, bemerkt, dass die Off-Texte mit tränenerstickter Stimme eingesprochen wurden, aber das ist egal. Das Video existiert, entgegen aller Wahrscheinlichkeit.

Scheitern, glaube ich, ist heute nur noch ein von Google initiierter Test mit einer Benutzeroberfläche aus Leben. Und: Scheitern macht mehr Spaß, wenn niemand dabei zusieht. Und: Scheitern ist okay, solange am Ende des Weges ein Wurstbrötchen wartet. Und: die Dinge entgegen aller Wahrscheinlichkeit, das sind die wichtigen und richtigen.

Das ist alles, was ich zum diesjährigen Fronleichnam zu sagen hätte.

1 Kommentar:

  1. Anonym9.6.10

    Naja, jetzt weiß man wenigstens, wie diese schöne Seite gestaltet wird. Katharsische Schmerzen und am Ende was Gutes.
    Grüße vom Mettbrötchen

    AntwortenLöschen