Freitag, 13. August 2010

Nicht für das Leben lernen wir, sondern für den Beruf

In unseren Arbeitsverträgen findet sich neben den üblichen guantanamoesken Knebelklauseln auch der eine oder andere Absatz, in dem man es ausgesprochen gut mit uns meint. Beispielsweise werden an einer Stelle jedem Mitarbeiter "Fortbildungsangebote" eingeräumt. Um dem Rechnung zu tragen, stellt der Arbeitgeber natürlich immer wieder entsprechende Materialien zur Verfügung. Unter anderem erhalten wir stets das bekannte "Medium Magazin für Journalisten", das jedesmal aufs Neue mit spannenden Lach- und Sachgeschichten aufwartet.

In der Ausgabe 4/5-2010 erschien ein lehrreiches Streitgespräch zwischen Jakob Augstein, seines Zeichens Herausgeber und Chefredakteur des leider hochgradig unterschätzten Meinungsmediums "Der Freitag" und dem Chefredakteur der bisweilen sträflich überschätzten Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo. Ein munterer Schlagabtausch, wie man ihn dieser Tage nicht mehr allzu oft zu lesen bekommt.

Der unlängst als Sohn Martin Walsers enttarnte Erbe Rudolf Augsteins legt gleich los wie die Feuerwehr, wenn er die "Zeit" keck als "Medium der bürgerlichen Selbstvergewisserung" bezeichnet. Worauf di Lorenzo recht dilettantisch erwidert: "Die "Zeit" ist ganz starkes Meinungsmedium, aber in einem unideologischen Sinne: Sie will dem Leser Mittel an die Hand geben, mit denen er sich eine Meinung bilden kann."

Nun, was Giovannilein unter "Unideologisch" versteht, offenbart eine kleine Recherche im Archiv seines "Fachblattes für Intellektülle" (Volker Pispers). Vor einigen Wochen fand sich in dessen Feuilleton nämlich unter der Rubrik "Lektüre zur Lage" ganz unten am Rand versteckt folgender völlig unideologischer Text: "Mehr Demut gegenüber dem Kreuz empfehlen wir der designierten Ministerin Aygül Özkan – ganz im Sinne Goethes: „Das Zeichen sieht er prächtig aufgerichtet, / Das aller Welt zu Trost und Hoffnung steht. (…) Ein Labequell durchdringt die matten Glieder, / Er sieht das Kreuz und schlägt die Augen nieder.“ Komisch nur, dass die weltanschaulich prima neutrale "Zeit" sich hier in sehr, sehr bedenkliche Gesellschaft begibt...

Ebenso unideologisch dürften die hetzerischen Einlassungen der strammen Antikommunistin Elisabeth Niejahr sein. Gleiches gilt selbstredend auch dann, wenn der Chef höchstpersönlich zur Feder greift und sich zu Hartz IV äußert, in dem er mal eben rassistische Vorbehalte seiner ach so weltoffenen und gebildeten Leser schürt und empört konstatiert, dass "ein Sechstel des Bundeshaushaltes" in die Grundsicherung fließe - natürlich alles verplemperte Steuergelder!

Wunderbar ist zweifellos Lorenzos Reaktion auf die Frage: "Freie unken oft: Für die "Zeit" zu schreiben, lohnt sich höchstens für die Ehre, nicht für das mickrige Honorar. Und das, obwohl Ihr Haus ökonomisch gut dasteht?"

Unser unideologischer Meinungsführer entblödet sich nicht, eine Antwort zu geben, die selbst dem manipulativsten Propagandaminister zu Ehre gereicht hätte:

"Unter diesem Widerspruch habe auch ich gelitten. Mit 22 durfte ich ein Dossier in der "Zeit" veröffentlichen, in dem mehr als ein Jahr Arbeit steckte. Für die vier Seiten habe ich damals 700 Mark bekommen. Trotzdem hat mir nichts in meiner Laufbahn so geholfen wie dieses eine Dossier. Ich wünschte, wir hätten die Reserven, um die Freien besser zu bezahlen, aber ich glaube, dass man das Schreiben für die "Zeit" auch als Investition in die eigene Laufbahn betrachten sollte…"

Klar, wenn so ein jämmerlicher Berufsschreiber seinen nahrungsmittelknappheitsbedingt knöchrigen Arsch nicht hochkriegt, um drei Jahre an einer investigativen Geschichte zu arbeiten, die anschließend mit 90 Euro entlohnt wird, dann soll er nicht rumheulen, sondern sich aufgrund der zu erwartenden Ehre lieber permanent einen von der Palme wedeln. Aber wehe, er kriegt in dieser Zeit "Hartz IV"! Dann regt sich Meister Lorenzo natürlich darüber auf, dass "ein Sechstel des Bundeshaushaltes" in die Taschen der doofen Faulenzer fließt. Alles natürlich ganz neutral, differenziert, unideologisch, kurzum: kompetent, kenntnisreich und klug.

Am besten aber ist die Beantwortung der Schlussfrage ausgefallen:
"Nennen Sie uns bitte drei Merkmale, die Ihr ideales Medium erfüllen muss."

Augstein: Auf der Seite der Schwachen. Unberechenbar. Klug.

di Lorenzo: Das könnte ich so unterschreiben. Das ist aber auch wie die Entdeckung des warmen Wassers im Badezimmer. Auf der Seite der Schwachen darf nicht bedeuten, zugleich aus Prinzip gegen die Starken zu sein, das ist schon ein Gebot der Fairness. Ich würde gern eine zusätzliche, von Journalisten oft unterschätzte Dimension nennen: Zeitungen brauchen auch eine sinnliche Dimension – visuell und thematisch. Zeitungsjournalismus muss sein wie Gummibärchen in der Oper: Man scheut das Knistern, aber wird dann doch verlockt und greift in die Tüte.


Fazit: Die Fortbildungsmaßnahme ist auf ganzer Linie geglückt. Lehrt sie uns doch: Wer solch scharfsinnige Sätze bar jeder Logik loslässt und Interviews zu Protokoll gibt, die auf einen eventuell unkontrollierten Alkoholkonsum schließen lassen, wird heutzutage Chefredakteur der angesehensten Wochenzeitung im Land.

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