Freitag, 12. November 2010

Lob der publizistischen Pöbelprolls

Womit beschäftigen sich Journalisten besonders gern? Rischdisch, mit sich selbst! Und da sollten wir natürlich keine Ausnahme sein. Eine Aufgabe, die mal wieder an mir hängen bleibt... Unsere literarische Abteilung (Kathrin und Dorian) verzichtet darauf verständlicherweise ebenso wie der Humor-Chef (Johannes). Daher biete ich in meiner Rolle als verbissener Die-Welt-Ist-So-Schlecht-Prediger nun einen kleinen videounterstützten Rundgang durch die narzisstische Welt der medialen Selbstreferenzialität, mit einem Teelöffel aus dem Meer geschöpft.

Regelmäßige Leser von hunderttausend.de kennen unsere Rubrik "Durch die Woche mit..." aus dem Effeff. Eines unserer Redaktionsmitglieder empfindet für diese Serie eine gerne zur Schau gestellte Ablehnung, und genau genommen sind die Gründe dafür gar nicht mal so schwer nachvollziehbar. Die betreffende Person nämlich ziert sich, anderen die Freizeit- und Abendgestaltung vorzuschreiben.

Was derlei Einwände allerdings nicht ausreichend berücksichtigen, ist die zentrale Erkenntnis in unserem Metier. Wer Karriere machen will, der muss eines beherzigen: Es geht immer nur darum, dass übergroße Egos der vermeintlich doofen Masse ihre eigene Ideologie unterjubeln - was mal unterschwellig und mal unverblümt geschieht. Welche Motive sollte es auch sonst geben, den ach so ehrenwerten Beruf des Lohnschreibers, Hörfunkfinken oder Fernsehverblöders zu ergreifen?

Die Wahrheit sagen? Was Wahrheit ist, definieren Auflage und Quote. So ist das in jeder Marktwirtschaft. Die Mächtigen überwachen? Solange Medien den Mächtigsten im Lande gehören (Friede Springer, Bertelsmann etc.), gilt das Motto: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Die Welt retten? Muahahaha... Einen schönen Einblick in die tatsächlich umkämpfte und hypereitle Medienwelt bietet die Doku "Die Meute":



Was die meisten der hier interviewten Medienmöpse da von sich geben, zeigt, wie verblendet sie wirklich sind. Tatsache ist, dass sie sich zu Nutten von Politik und Wirtschaft machen (müssen). Journalisten mit einem wirtschaftsliberalen Gedankengut scheinen das beherzigt zu haben, anders sind solche Kommenatare wie dieser hier aus der "Welt" kaum zu erklären, in dem allen Ernstes der Satz steht:

"Gerade jetzt, wo die Zeiten rosig scheinen, gönnen sich viele Bürger wieder den Luxus der Systemkritik."


Fast alle marktwirtschaftsskeptischere Medienmacher scheinen dagegen ernsthaft zu glauben, "neutral" zu sein, sei das beste. Dass es Neutralität im Journalismus de facto nicht geben kann, wird artig verdrängt. Denn bei jedem Bericht, Interview, Feature muss ein Standpunkt eingenommen werden, und sei es nur der, dass Demokratie oder Ficken etwas "Gutes" sind und Nazis oder Migräne etwas "Schlechtes". Schon allein die übertriebene Gewichtung von eigentlich sinnlosen Nachrichten kann Zustimmung in der Bevölkerung auslösen, wie dieses Beispiel gezeigt hat:



Verweigerung der Neutralität ist ja genau genommen sehr gut. Denn machen wir uns nix vor: Wären immer alle schön neutral geblieben, dann würden wir heute noch auf den Bäumen sitzen und uns gegenseitig entlausen. Das sind banale Fakten, die man in Studienfächern wie Medienwissenschaft, Publizistik oder Politikwissenschaft (in der bestehenden Form allesamt restlos entbehrlich) eben genau nicht lernt, sondern erst, wenn man in den marktfundamentalistischen Redaktionen von Springer, FAZ, Spiegel und Burda zum Meinungspapst von morgen herangezüchtet wird. Berichtet jemand ausnahmsweise mal wirklich kritisch und stellt Grundsätzliches in Frage, haftet direkt das Etikett des "Tendenziösen" an ihm - sozusagen der Judenstern des deutschen Mediengewerbes.

Eine soziologische Studie von Ute Volkmann über die politische Hegemonie des Neoliberalismus in den deutschen Medien ("Legitime Ungleichheiten") untersucht beispielweise "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) und "Frankfurter Rundschau" (FR). Dabei kam heraus, dass die liberalkonservativ angehauchte FAZ ihre eigene politische Botschaft offen und sendungsbewusst rübergebracht hat und die FR ihre eher marktwirtschaftsskeptische Haltung neutral und zurückhaltend weitergab. Das dürfte mit der wichtigste Grund sein, warum sich unser politisches System immer mehr liberalisiert. Wundern oder beklagen darf man sich jedenfalls nicht darüber, wenn man den Neoliberalen so bereitwillig das Feld überlässt. Dann kommen solche Geschichten heraus, die den Zeitungen Auflage bescheren und nebenbei noch das Weltbild der radikalreaktionären Redaktuerszunft zu bestätigen scheinen:



Der olle Karl Marx hat mal gesagt: "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, dass sie kein Gewerbe ist." Das ist wohl wahr, aber auch mal eben so leicht dahingesagt. Ein Wunsch, der wohl nur als Langlanglangzeitziel im Hinterkopf gespeichert bleiben kann. Bis dahin wird sich nicht viel ändern lassen. Solange die Medien marktwirtschaftlich funktionieren, muss ihr oberstes Ziel immer Profit sein. Dafür werden auch weiterhin alle Methoden angewandt werden:



Wer sowas verurteilt, der muss erstmal das System komplett umbauen. Klingt utopisch. Was sich aber sofort ändern ließe: Die wenigen, die kritisch berichten wollen und eingesehen haben, dass Neutralität nix bringt außer Frustration, sollten mutiger und lauter werden. Genau so wie Peter Finch in "Network" (1976):



Auf Wunsch könnte ja ab sofort auch "Durch die Woche mit..." ab und zu als derart missionierendes Video mit versteckter gesellschaftskritischer Botschaft online gehen. Vielleicht kann sogar unser Redaktionsmitglied sich dann doch noch für diese schöne Serie begeistern...

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