Freitag, 10. Dezember 2010

Eva, 31

In wenigen Tagen begeht hunderttausend.de eine Weihnachtsfeier. Das schreibt sich so einfach dahin, ist aber einer näheren Betrachtung wert. Die Betriebsfeier schafft eine einmalige Schnittmenge zwischen Privatem und Beruflichem, selten wie eine Sonnenfinsternis und mindestens so interessant.

Ich verstehe deshalb nicht, warum manche Menschen diesen Brauch nicht mögen. Menschen wie Eva, 31 J., Database-Marketing-Leiterin. In der Financial Times wendet sie sich mit dem folgenden Problem an die Beraterin Anne:



Würde ich Eva, 31, nicht so wahnsinnig unsympathisch finden, würde ich ihr gerne helfen. Zum Beispiel könnte sie ein Praktikum bei uns absolvieren und ihre Soft Skills mal ein bisschen aufzupolieren. Eva müsste dann auch zu unserer Weihnachtsfeier kommen. Die feiern wir in diesem Jahr zuhause, also: im Büro. Wie eine große WG, nur sauberer und mit besserem Wein (hoffen wir).

Ich weiß noch nicht genau, wie Eva sich zu diesem Anlass anziehen würde. Entweder (weil sie ein wenig nervös zu sein scheint) zu stark geschminkt und mit einem unangemessen kurzen Cocktailkleid; die wahrscheinlichere Option: als letzte Bastion der Tugendhaftigkeit, mit strengem Haarknoten und braunem Leinen-Blazer mit Schulterpolstern. Randlose Brille! Auf keinen Fall würde sie sich amüsieren. Unsere aufgeschlosseneren Mitarbeiter würden versuchen, freundlichen Smalltalk mit ihr zu betreiben oder sie in eine unserer professionellen Kicker-Mannschaften zu integrieren. Eva wäre so unfreundlich, dass die aufgeschlossenen Mitarbeiter ihre Frustration mit Alkohol betäuben müssen. Dann würde Eva sie peinlich finden und sagen: "Hab ich doch gesagt."

Wir würden uns ärgern, Eva eingeladen zu haben. "Das ist doch unfair von Eva", würden wir hilflos denken, könnten es aber nicht sagen, weil zickige Leute ja immer alles hören. Peinliches Schweigen würde sich ausbreiten, wie Giftgas, das von Eva ausströmt, die immer noch im Eingangsbereich lehnt und alles "total öde und kindisch" findet. Das zischt sie jedes Mal, wenn jemand an ihr vorbei muss, um auf Toilette zu gehen. Irgendwann würde Jockel einschreiten, der die Harmonie unserer Feier gefährdet sieht. Es würde eine Mail an Eva schicken, mit der diplomatischen formulierten Bitte, sich innerhalb von 30 Sekunden von unserem Grundstück zu entfernen.

Weil Eva, wie alle Database-Marketing-Leiterinnen, ihre geschäftlichen E-Mails per Push-Benachrichtigung auf ihr iPhone 4 bekommt, wäre sie sofort im Bilde. Sie würde versuchen, sich nichts anmerken zu lassen (wie verhärmte Menschen es immer tun), mit ihrer Faust auf den Tisch klopfen und sagen: "Ich mach mal Ferngruß". Aber vielleicht ist das auch eine zu männliche Geste für Eva. Sie würde also einen letzten, heimlich verächtlichen Blick in unsere Runde werfen, während sie sich in ihren unvorteilhaft geschnittenen Daunenmantel presst. Als sie geht, grummelt sie noch etwas von "Resturlaub", den sie nächstes Jahr nehmen wird.

Abgang Eva.

Wir würden gebannt darauf warten, dass sich die Aufzugtüre schließt. Bei dem vertrauten "Tsch--schk" würden alle aufatmen. Andy B. Jones dreht die Musikanlage wieder auf, Johannes sagt irgendetwas philosophisch-altkluges und alle lachen darüber besonders dankbar und laut. Jockel findet irgendwo noch eine verloren geglaubte Kiste Champagner. Wir machen inspirierte Scherze über Einsen und Nullen, die wir am nächsten Morgen nicht mehr verstehen würden. Passanten, die im grauen Schneeregen vor dem Bahnhof stehen, würden hinter den Fenstern eine Szenerie von häuslichem Glück erahnen, die man sonst nur aus der Miracoli-Werbung kennt.

Wir würden alle länger bleiben als gewöhnlich, und würden auch über alle Maßen beschwingt feiern. Auf dem Heimweg, im Sonnenaufgang, müde und friedlich, würde niemand verstehen, wie man mit 31 Jahren schon so alt sein kann wie Eva.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen